Der ewige Kreislauf von Klischees

Tamara Schiffer
8 min readMar 8, 2022

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Let’s talk about Klischees

Der menstruierende Teil der Gesellschaft muss sich auch heutzutage noch, im 21ten Jahrhundert, mit Klischees beschäftigen. Als hätten wir nicht andere weltweite Probleme: die anhaltende Corona-Pandemie, den Klimawandel oder sogar einen Krieg in unseren Nachbarstaaten. Aber NEIN! Wir Frauen dürfen uns auch heute noch Klischees anhören und müssen diese mit einem Lächeln wegnicken, um unserem Gegenüber nicht gewaltsam den Mund zu stopfen. An dem heutigen Weltfrauentag — dem 08. März 2022 — muss ich mir meinen Frust von der Seele schreiben. Die nachfolgenden Klischees — beziehungsweise Auszüge von denen — sind jene die mich in meinem Alltag leider begleiten.

Um die nachfolgenden Klischees zu verstehen, muss ich kurz etwas zu meiner Person sagen: Ich bin 29 Jahre alt, Single ohne Kinder und stehe kurz vor meinem Masterabschluss. Den Job, den ich derzeitig mache, werde ich Ende Juli nicht mehr haben, da er mich nicht ausfüllt. Ich bin groß und schlank. Mit meinem Körper bin ich nicht immer zufrieden, weil ich zu wenig Energiereserven habe. Mein Lieblingshobby ist dadurch auch schlafen. Und mein gemeinnütziger Verein, den ich zusammen mit meiner Schwester gegründet habe. Ich habe viele Ecken und Kanten — vor allem Charakterlich — aber zu wenig Kurven — das vor allem körperlich.

#1: Du brauchst einen Mann oder willst du keine Kinder?

Die Frage nach meinem Liebesleben ist die Lieblingsbeschäftigung meiner Freund*innen. Sowohl männliche Freunde als auch weibliche Freundinnen wollen immer wissen, ob es jemanden in meinem Leben gibt. Meine Oma — zu ihrer Verteidigung muss ich erwähnen, dass sie schon über 90 Jahre alt ist — glaubt allmählich, dass ich meine „große Liebe“ verspielt habe. So wie sie aufgewachsen ist, wurde es als Standard angesehen früh zu heiraten und Kinder in die Welt zu setzen. Sie versteht zwar, dass es heute nicht mehr so laufen muss, doch ist sie sich sicher, dass mein Glück von einem Partner (oder einer Partnerin) abhängig ist.

Mein Freundeskreis ist demnach redlich interessiert an meinem (nicht vorhandenen) Dating-Leben, doch sind sie nicht so alt-eingesessen, dass sie einen Lebenspartner direkt mit Kinder-kriegen gleichsetzen. Jedoch habe ich mir schon des Öfteren von Bekannten, Familienmitgliedern etc anhören dürfen, ob ich den keine Kinder haben will. Immerhin bin ich doch fast schon 30 und meine innere Uhr tickt. Dazu möchte ich klipp und klar sagen:

Kinder zu bekommen ist eine Entscheidung, die jede Frau für sich selbst trifft. Ein Mann ist zu dieser nicht zwingend notwendig!

Es gibt heutzutage Samenspenden und Kinderwunschzentren. Wenn ich mich also dazu entscheide, ein Kind in die Welt zu setzen, dann benötige ich dazu keinen Partner! Außerdem ist mein Lebensglück nicht von einem Mann und auch sonst von keinen anderen Menschen abhängig. Wenn ich glücklich sein will, dann bin ich das — so einfach ist das!

#2: Wozu studierst du eigentlich so lang?

Mit diesem Klischee hat mich ausgerechnet meine Mutter konfrontiert. Frauen und studieren ist gleichzusetzen mit Verschwendung. Studieren müssen ja nur Männer, um Geld zu verdienen, damit die Familie ernährt wird. Frauen hingegen studieren ja nur zum Vergnügen und nutzen die Bildung ja dann eh nicht, weil sie daheim bei den Kindern bleiben und dann nur Teilzeit arbeiten. Ich habe nur ungläubig den Kopf geschüttelt und die Konversation unkommentiert beendet. So viel Blödsinn habe ich schon lange nicht mehr gehört.

Ich studiere, weil ich mich weiterbilden will und weil mich die Thematik interessiert und mir auch Spaß macht. Außerdem erhoffe ich mir durch mein Studium einen besseren Job zu finden, der mich erfüllt und bei dem ich nicht merke, dass ich arbeite.

Selbst jetzt, beim Schreiben dieser Zeilen bin ich noch immer geschockt über diese Aussage und das Klischee. Ich weiß natürlich, dass die „Zeiten“ anders waren vor einigen Jahrzehnten und meiner Mutter die Entscheidung zu studieren sicher schon vorab abgenommen wurde, doch sollten Mütter die eigenen Kinder und vor allem Töchter nicht dazu ermutigen, alles zu werden, was sie wollen? Anscheinend nicht meine…

UND: Ich habe ja keinen Mann, der für „die Familie“ sorgen kann, darum muss ich das wohl oder übel selbst machen ;D

#3: Frauen müssen sich um den Haushalt und um das Essen kümmern

Willkommen im Jahr 1900-irgendwas, in dem Frauen den ganzen Tag zu Hause waren, die Kinder hüteten und um Punkt 12 das Essen auf dem Tisch stand. Auch heute gehen viele Menschen — und leider nicht nur Männer — davon aus, dass Frauen diese Aufgaben auch heute noch so übernehmen müssen.

Ich kann kochen, tu es aber meistens nicht. Mein Kühlschrank ist eher leer und meist nur mit Dingen zum Jausnen gefüllt. Kochen finde ich persönlich zu zeitaufwendig für mich alleine. Ich kümmere mich um mein Essen, nur sieht dieses weder eine Vor-, Haupt- und Nachspeise vor, noch ist dieses um Punkt 12 auf dem Tisch. Verhungert bin ich deswegen aber noch nie. :D

Nun zum Haushalt: Meine Wohnung ist aufgeräumt, jedoch kann man nicht vom Boden essen (ich meine, kann man schon — sollte man aber nicht). Es ist also sauber, aber nicht penibel gereinigt. Ich weiß auch ehrlich gesagt nicht, wieso es anders sein sollte. Ich fühle mich in meiner Wohnung wohl, so wie sie ist.

„Aber wie willst du dann einen Mann finden, wenn du nicht kochen kannst?“ — Für diese Frage habe ich verschiedene Antworten:

· Da ich nicht aktiv nach einem Mann suche, muss der mich mal erst finden.

· Ich hoff einfach, dass er kochen kann.

· Ich bin ein Verfechter, regionale Lieferdienste zu unterstützen und setze mich sehr dafür ein — manchmal sogar mehrmals in der Woche.

#4: Hätte ich deinen Körper, hätte ich keine Probleme

Wie schon in der Einleitung geschrieben, bin ich groß und schlank. Um es in Zahlen auszudrücken: 178cm hoch und 61kg schwer. Für die die mich nicht kennen: ich habe einen langen Oberkörper, einen Six-Pack (den ich nicht haben will), lange und schlanke Beine und dafür wenig Oberweite und ein kleineres Hinterteil. Durch meinen Körperbau kann ich sehr viel essen, ohne zuzunehmen. Diese Eigenschaft finden viele Frauen sehr beneidenswert und unfair, dass ich das nicht wertschätze. Sätze wie „Wenn ich nur was Süßes anschaue, nehme ich schon zu“ oder „Mei du hast echt keine Probleme, das ist zu beneiden“ darf ich mir des Öfteren anhören. Die Hintergründe, wieso ich trotzdem Probleme mit meinem Körper habe, will dann keiner wirklich hören.

Mein Körper ist in die Länge gezogen und hat eine unglaublich hohe Leistungsfähigkeit, wenn es um die Verdauung geht. Alles was ich zu mir nehme, kommt so gut wie ungefiltert wieder unten raus — und das in Rekordzeit. Fettzellen sucht man bei mir vergeblich. Das heißt auch, dass ich keine Energiereserven habe, auf dich zugreifen kann. Darum ist schlafen auch mein Lieblingshobby :D Sportlich gesehen bin ich eine 0. Ich treibe keinen Sport, habe keine Ausdauer und bin nach 100m rennen, reif fürs Krankenhaus. Trotzdem habe ich einen Six-Pack und definierte Muskeln. Beneidenswert? Nein, absolut nicht! Ich hasse diese selbstständige zur-Schau-Stellung meiner Muskeln, für die sich mein Körper entschieden hat, nur weil er kein Fett anlegen möchte. Sport treiben ist nicht wirklich eine Option, da sich meine Muskeln dann noch mehr abzeichnen würden, und ich dann aussehe, wie so eine Bodybuilderin. Das gefällt mir persönlich nicht, daher verzichte ich lieber darauf.

„Du kannst ja was von mir abhaben. Ich habe ja eh genug Speckrollen.“ — Bei diesem Satz möchte ich am Liebsten das Messer zücken und mir von meinem Gegenüber ein paar Scheiben abschneiden. Diese und andere Aussagen sind absolut nicht hilfreich und einfach nur Body-Shaming. Auch dünne Menschen dürfen Probleme mit ihrem Körper haben.

Ich höre auch oft, dass Frauen dünn sein müssen, aber nicht zu dünn… Frauen müssen so vieles sein, laut Gesellschaft. Auch das “Girls. Girls. Girls. Magazine” hat sich schon im Jahr 2020 die Frage gestellt, wie Frauen — laut Gesellschaft — sein müssen und dieses Video dazu veröffentlicht: https://www.youtube.com/embed/z8ZSDS7zVdU

#5: Du brauchst das Geld ja eh nur für Blödsinn

Das Frauen für die gleiche Leistung weniger verdienen ist allgemein bekannt. Der Gender-Gap-Day ist zwar jedes Jahr ein bisschen früher, jedoch noch immer zu spät, als dass dieses Thema nicht mehr für Furore sorgen würde (und sollte). Mir ist in meinem Leben bisher dieses Thema nur einmal untergekommen und das dafür in einem Ausmaß, dass ich mir so nicht gedacht hätte…

Ich habe mit einer Freundin zusammengearbeitet, die schon von Beginn an für 20 Stunden angemeldet war. Ich habe meine Stunden mit der Zeit erhöht und war dann auf demselben zeitlichen Level wie sie. Das Gehalt jedoch war nicht gleich! Ich hatte dann eine Diskussion mit meinem Chef, dass ich bei selbem Stundenausmaß auch dasselbe verdienen sollte. Das meine Arbeit breiter gefächert war als ihre, war dabei nicht mal das Thema. Ich musste mir dann die Frage anhören, wieso ich den so viel Geld brauche — WTF? Es kann meinem Chef — und das habe ich ihm auch gesagt — egal sein, wofür ich das Geld brauche oder eben nicht brauche.

Die Aussage, dass Frauen ihr Geld nur für Blödsinn ausgeben würden, ist absoluter Non-Sense. Die Ansicht darüber, was Blödsinn ist und was nicht, ist sowieso subjektiv und jeder Mensch muss selbst entscheiden, ob das unsinniges Geld-ausgeben ist oder nicht — und sonst niemand!

Der Klischee-Kreislauf

Die Klischees die oben beschrieben worden, sind immer wieder Anlass für einen Kreislauf. Ein Klischee führt zum nächsten und startet irgendwann wieder von vorne. Werde ich z.B. darauf angesprochen, ob ich einen Freund habe und ich das verneine, kommt automatisch die Frage nach meinem Kinderwunsch. Der wiederrum führt mich zu meinem Studium (weil ich natürlich gerne mein Studium vollenden will, bevor ich überhaupt an Kinder denke) und zu der Frage, wie ich meinen Traumjob mit Kindern verbinden will. Das wiederrum führt dann zu meiner Wohnsituation und Kochkünsten. Das kann dann zu meinem Körper führen, weil „Du isst sicher zu wenig, so wie du ausschaust“. Darauf folgt dann: „Du solltest dein Geld halt in g’scheite Lebensmittel investieren“. Das führt dann zurück zu meinen fehlenden Kochkünsten und zu der Frage, wie ich den einen Mann halten will, wenn ich nicht kochen kann… und ja, ich hatte solch eine Diskussion wirklich schon.

Ich glaube jede Frau kann sich in das ein oder andere Thema hineinfühlen. Jede Frau hat natürlich mit ihren eigenen Klischees und Vorurteilen zu kämpfen. Egal ob Body-Shaming, die Frage nach der „großen Liebe“ oder dem Ungleichgewicht in Gehaltsfragen. Frauen müssen sich auch heute noch mit solchen Themen auseinandersetzen und ich verstehe einfach nicht wieso.

WIESO?

Falls jemand eine Antwort auf diese Frage hat, ich würde diese gerne hören. Ansonsten möchte ich allen Menschen auf dieser Welt mitgeben: Nur du musst dich glücklich fühlen mit dem was du tust und so wie du bist und sonst niemand!

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Tamara Schiffer
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Written by Tamara Schiffer

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